Sieben Tage Berglauf mit 66 Jahren

Transalpine-Run (TAR) heißt einer der anspruchsvollsten mehrtägigen Berglaufwettbewerbe, der in Europa organisiert wird. Unser Zweier-Team, bestehend aus Uwe Kauntz (47) und Reinhold Kraus (66), ist an sieben aufeinanderfolgenden Tagen 228 Kilometer, und dabei 12.250 Höhenmeter (Hm) hoch und 11.810 Hm hinunter, in insgesamt 49 Stunden gelaufen, aus Österreich durch die Schweiz nach Italien. Der Wettbewerb fand vom 08-14.09.2023 statt.

Dementsprechend groß war die Freude beim Zieleinlauf in Prad am Stilfserjoch, als der Sprecher ankündigte, dass das Team „Die Siebenbürger“ als Finisher die Ziellinie überquert. Uwe wohnt in Kirchheim bei München und ist in Donnersmarkt geboren. Er gründete in München einen Hindernislauf Verein (OCR Munich eV), ist Trainer und selbst ein erfolgreicher Hindernisläufer. Im Jahr 2016 hatte er das Projekt 1000 Hindernisse zu überqueren (je 20-30 Hindernisse sind in einem Wettbewerb zu überwinden) erfüllt und 2022 ist Uwe auf 100 Gipfel hochgelaufen. Ich wohne in Geretsried und bin in Mediasch geboren. Seit vielen Jahren leidenschaftlicher Hobbybergsteiger und Orientierungsläufer. Das Wissen, dass unsere Familien und Freunde unseren Zieleinlauf in Echtzeit mitverfolgten, steigerte unseren Ehrgeiz beim TAR. Dass wir sogar auf Platz 14 von 28 Mannschaften in unserer Kategorie „Senior Master Men“(beide Läufer mussten zusammen 100 Jahre alt sein) den Lauf gemeistert haben, erfüllt uns mit Stolz. 11 Mannschaften unserer Kategorie sind wegen nicht einhalten der Zeitlimits ausgeschieden.

Als Uwe, mein Cousin, mich vor 10 Monaten zu diesem Lauf einlud, stellte ich mir die Frage: „wie soll das gehen, mehrere Tag hintereinander, mit nur einigen Stunden Regenerationszeit solch große Leistungen zu bringen?“. Also fast jeden Tag einen Marathon und 1700-2550 Höhenmeter täglich unter Zeitdruck? Darüber hinaus ist Uwe 20 Jahre jünger, also viel Leistungsfähiger. Uwe meinte dazu, dass er sich dessen bewusst ist und das Ziel sei gemeinsam den Lauf zu schaffen unabhängig von der Platzierung. Er vertraue mir, da ich schon einige sportliche Herausforderungen gemeistert habe, wie zum Beispiel die höchsten Berge von vier Kontinenten und einen Achttausender, den Cho Oyu 8210 m bestiegen. Auf meinem Konto ist auch ein 73,5 langer Berglauf auf dem Rennsteig in Thüringen und zwei weiter Bergläufe. Nach dem Motto, das auf meiner Homepage (www.Kraus-Reinhold.de) steht: „Wenn Dich Deine Wünsche nicht erschrecken, sind sie nicht groß genug“, sagte ich seiner Einladung zu.

Uwes Vertrauen wollte ich bestätigen und war bereit alles zu tun um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Es gab kaum ein Tag an dem ich nicht an den Lauf dachte. Somit begann ich im Januar mit dem Training. Bis Mai waren es ca. 40 Kilometer die Woche. Nach dem dreiwöchigen Brasilienurlaub mit Dagi, Renate und Egon Kirschner, flog ich nach Ecuador. In dem Gebirgsort Banos wollte ich drei Wochen trainieren. Der Plan ging nicht auf, da ich an Lungenentzündung erkrankte. In der letzten Wochen meines Aufenthalts begann ich auf die Berge zu steigen. Mit großer Mühe, Unwohlsein, Schweißausbrüchen stieg ich bis 1300 Höhenmeter langsam auf damit ich wenigsten die Muskeln und Sehnen stärke. Der Arzt sagte mir, dass die Lunge 1-3 Monate braucht, bis sie sich gänzlich erholt. Ich stellte mir die Frage, ob ich in den verbleibenden zwei Monaten genügend trainieren kann. Meine innere Stimme (die Erfahrung die ich im Laufe der Jahre sammelte) sagte mir, dass ich es schaffen werde.

Zurück in Deutschland folgte ich mit Überzeugung und Disziplin dem Trainingsplan, den ich mir selbst zusammenstellte. Dazu gehörte: Ausdauertraining, ca. 10-15 Stunden die Woche, Tempoläufe, Krafttraining, Ganzkörpertraining (z.B. Pilates, Yoga, Fitnessstudio). Um die Dauerbelastung zu trainieren, haben wir an jeweils drei Tagen pro Woche hintereinander je 30-40 Laufkilometer täglich bewältigt. Im Juli und August waren es letztendlich 850 Kilometer mit vielen Höhenmetern, die ich trainierte. Wichtig war nicht nur das hochgehen/laufen sondern auch das Bergablaufen zu üben. Einmal pro Woche stieg ich von Lenggries oder von Benediktbeuern auf den Latschenkopf und sammelte ca. 1500 Höhenmeter pro Lauf so schnell wie möglich. Für 800 Höhenmeter und 5 km brauchte ich eine Stunde. Zu Vorbereitung gehörten zwei gemeinsame Wochenenden, an denen wir ein Teil des Alpe-Adria-Trail und ein Teil des SalzAlpenTour-Chiemsee-Alpenland Wanderwegs gelaufen sind, um uns auch auf sportlicher Ebene besser kennenzulernen. Auf diesen Trails wurden auch die Ausrüstung und Nahrung getestet: die Schuhe, die Kleidung, die Carbon-Stöcke, der Laufrucksack sowie die isotonischen Getränke und Essbares während des Laufes. Wieviel und in welchen Abständen man Gels zu sich nimmt, um den Energiebedarf mit Kohlenhydraten, Eiweißstoffen, Salzen, Kalium, Natrium usw. zu decken.

Der Wettbewerb
Am 08.09.2023 war es dann soweit. Wir hatten die Trainingszeit gesund hinter uns gebracht und erwarteten den Startschuss in Lech am Arlberg in Österreich. Zusammen mit andern 556 Athleten aus aller Welt, in denen 34 Nationen vertreten waren, ging‘s los, mit dem Lied „Highway to hell“ von AC/DC, das passend ausgesucht ist. Der erste Tag mit 33 km, 1800 Hm hoch und 1930 Hm runter, war kein leichter. Zu der körperlichen Belastung gesellten sich die Emotionen, die Zweifel, ob man das geforderte Tempo einhalten kann. Die Sonne brannte, im hochalpinen Gelände waren wir ihr ganz ausgesetzt. Das blieb die ersten vier Tage so. An jedem Bachlauf kühlten wir unsere Muskeln und den Kopf. Ziemlich geschafft, erreichten wir das Ziel, das wir immer gemeinsam als Team überqueren mussten. Leichter Optimismus keimte in uns auf. Am zweiten Tag 31 km, 1450 hoch und 1400 Hm runter, lief es schon besser, wir erreichten unter sechs Stunden das Ziel. An jedem Abend gab es die sogenannte „Pasta Party“, mit Bilder und Videos des Tages, sowie das „Briefing“ in dem es Informationen über die Strecke des kommenden Tages gab. Am dritten Tag waren 42 km mit 2550 Hm hoch und 2320 runter zu bewältigen, zum Teil im schwierigen hochalpinen Gelände. Nach ca. 2 Stunden trat ich beim Bergablaufen neben den Pfad und stauchte mir das linke Knie, konnte aber mit leichten Schmerzen das Ziel nach 10:35 erreichen. Bei den langen Aufstiegen musste ich richtig „beißen“, also nahe am Limit hochsteigen, was keinen Spaß macht. Das gehört zum Berglauf, zum Sport, dazu. In solch Situationen spiel der Kopf, also die Selbstmotivation eine große Rolle. Nicht aufgeben, so schnell wie es geht Gehen oder Laufen, ich bin hier beim Berglauf und nicht beim Wandern. Es folgte eine sehr kurze zum Teil schlaflose Nacht, wegen der leichten schmerzen im Knie, den „brennenden“ Beinen und dem Gedanken die Zeitlimits nicht mehr einzuhalten zu können. Das waren zum Teil quälende Gedanken. Um 02:00 schlief ich ein, um 04:00 Uhr klingelte der Wecker, um 06:00 Uhr standen wir am Start um die vierte Etappe 41 km, 1600 Hm hoch und 1900 Hm runter zu laufen. Alles ging gut! Nachdem wir das erste Zeitlimit rechtzeitig erfüllt haben, war ich wie beflügelt und wir erreichten nach genau 9 Stunden das Ziel. Vor Freude, habe ich die Ziellinie mit einem „Ballettsprung“ überquert. Am nächsten Tag krochen wir zum Spaß auf allen vieren über die Ziellinie. Wegen Gewittergefahr wurde die fünfte Etappe abgesagt und ein Alternativlauf angeboten: 7,5 km und 950 hm, die wir mit Uwe in 01:32 schafften. Unsere Zuversicht, den Transalpine-Run erfolgreich zu beenden stieg von Tag zu Tag. Und von Tag zu Tag stiegen wir in der Wertung auf, von Platz 22 auf Platz 14, das schenkte uns Vertrauen. Die sechste Etappe mit 35 km, 2250 Hm hoch und 2000 Hm runter verlief nicht reibungslos. Ich brach einen meiner Stöcke, Uwe gab mit einen von seinen, weil ich die Stöcke sehr oft einsetze und er auch ohne gut vorankommt. An diesem Tag machte ich auch eine Bauchlandung aber außer ein paar Kratzern ist nichts passiert. Es war der einzige Sturz in den sieben Tagen! Auch an diesem Tag war die Freude groß als wir die Glocke am höchsten Punkt der Strecke 2940 m läuten hörten. Der letzte Tag stand an. Unserer Devise war konzentriert zu bleiben, ja nicht fallen oder irgendwas verrenken oder reißen. Kraft war noch genug da, das Knie spürte ich zwar, aber der Schmerz war ertragbar. Die vielen Ermutigungen und das zugesprochene Vertrauen: “Ihr schafft das“ beflügelten uns. Somit wurde die letzte Etappe mit 40 km 1650 Hm hoch und 2200 Hm runter unsere schnellste. Die bewältigten wir mit einem Schnitt von 10,5 Minuten pro Kilometer. Gute „Laufstrecken“, darunter mehrere Kilometer auf weichem Waldboden, ermöglichten diese Zeit, auf denen wir unsere körperliche Stärke genossen habe. Kurz vor dem Ziel schlugen unsere Herzen schon schneller, mit dem Adonis-Wimpel (Bergsteiger und Wanderverein) in der Hand überquerten wir die Ziellinie, die Arme in die Höhe gerissen, mit feuchten Augen. Die Zieleinlauf Choreographie war eine tiefe gegenseitige Verneigung, mit der wir unser harmonisches Miteinander unterstrichen haben. Sigi, Uwes Ehefrau hängte uns die Finisher-Medaille um den Hals. „Wir haben es geschafft!“ gab ich mit großer Genugtuung in den sozialen Medien bekannt. Auf der Finisher-Party fiel mir Udo Jürgens Schlager ein: „Mit 66 Jahren da fängt das Leben an“. Ich war der zweitälteste Teilnehmer dieses TAR.

Ein Fazit: Es ist vieles möglich wenn man es wirklich will und alles dafür tut. Erstaunlich, was der Körper sich alles merken kann und zu welchen Leistungen er fähig ist. Wenn es besonders schwer war, drängte sich, wie so oft bei ähnlich herausfordernde Unternehmungen, die Frage auf „muss das sein“ oder der Gedanke „nie wieder“. Doch wenn man es geschafft hat, macht sich Zufriedenheit breit, die große Anstrengung ist schnell vergessen, der Mut zu neuen Abenteuern flammt auf. Man ist zufrieden mit sich selbst, ist stolz auf das Vollbrachte, diesmal die Alpen in einer Woche laufend überquert zu haben. Die Anerkennung die ich (wir) nach dem Lauf erhielten war riesig. Ein Gefühl großer Zufriedenheit erfüllte mich lange Zeit, ein Gefühl, das ich nur mit solch großen Leistungen empfinde. Die liebe zum Sport begleitet mich seit meiner Kindheit und sie begeistert mich bis heute. Die körperliche Stärke zu spüren, die Geschicklichkeit zu entwickeln oder zu erhalten als auch die geistige Stärke wahrzunehmen, steigerten mein Wohlbefinden und Gesundheit. Ich bin froh, dass der Sport mein Leben bereichert und bin dankbar, dass es auch heute mit 66 Jahren so ist. Das Schöne am Sport ist, das es ALLEINE in Deiner Hand liegt DEINE angestrebten Ziele zu erreichen, sprich wie viel Du dafür trainierst um Körper und Geist darauf vorzubereiten. In vielen Bereichen des Lebens ist man von anderen anhängig. Es freut mich auch, dass ich für Jugendliche und einigen (wenigen) Erwachsenen eine Vorbildfunktion habe bezüglich der besonders anspruchsvollen Leistungen, weil sie diese schätze und nachahmen um somit im Sport und im täglichen Leben erfolgreich sind.

Wir, Uwe und Reini, das Team „Die Siebenbürger“ bedanken uns bei allen Familienmitgliedern, Freunden, Adonis- und Mitglieder der Sektion Karpaten, bei allen Unterstützern, für das Mitfiebern, die Ermutigungen und den Gratulationen. Geteilte Freude ist doppelte Freude, das kann ich mit Nachdruck bestätigen!

Die Webseite des Wettbewerbs: transalpine-run.com