Expedition zum sechsthöchsten Berg der Welt – Cho Oyu 8201m

Nach den bergsteigerischen Erfolgen der letzten Jahre, keimte in mir die Idee einen ganz hohen Berg zu besteigen und ich wählte einen der „leichteren“ Achttausender der 14 Riesen, den Cho Oyu ohne Sauerstoff zu besteigen. Ich war mir sicher, für so ein Unternehmen reif zu sein, da ich mittlerweile 20 Jahre Bergerfahrung gesammelt hatte und um jeden Zweifel diesbezüglich auszuschalten, gab es nur einen Weg für mich: dieses Herausforderung anzunehmen!

In diesem Jahr war ich 50 Jahre alt, arbeitete als Qualitätsbeauftragter in der Düsenfertigung. Meine Erfahrungen sammelte ich am Mount Blanc 4810 m, Elbrus 5642 m, Kilimanjaro 5895 m und Aconcagua 6962 m. Bei der 20 jährigen Jubiläumsfeier der Alpingruppe Adonis, dessen Mitgründer ich bin (Mediasch 1985), schenkte mir Martina Muntean ein selbst gemaltes Foto vom Cho Oyu mit über 100 Unterschriften von Mitglieder der Alpingruppe Adonis, also von Freunden. Was für eine große Geste, die mir zusätzlich einen Auftritt gab, solch anspruchsvolle Besteigung zu wagen.

Ich entschied mich für den nordamerikanischen Höhenbergsteiger Veranstalter Summit Climb, der diese internationale Expedition organisierte. Die Aufstiegsroute war die Nordwestseite des Cho Oyu, aus Tibet (China). Die Besteigung forderte Geist und Körper aufs Äußerste, trotz der perfekten Organisation und der professionellen Leitung von Ryan Waters, USA.

Kultur in Kathmandu

Ich reiste sieben Tage vor dem Begegnungstermin mit dem Bergsteigerteam nach Kathmandu (Nepal) ein und habe die täglichen Demonstrationen für die Einstellung einer demokratischen Regierung hautnah erleben dürfen. Letztendlich hat der König von Nepal dem Druck der Bevölkerung nachgegeben und war bereit die Macht mit sieben Parteien zu teilen. Die Welt wird politisch immer gesünder, wenn auch in kleinen Schritten. Des Weiteren nutze ich meinen Aufenthalt mit Besuchen des größten königlichem Palastkomplex „Hanaman“ in Kathmandu und der Stadt Bhakdapur, um die Hindureligion näher kennen zu lernen. Da in Kathmandu am Tag meiner Besichtigung Ausgangssperre herrschte, konnte ich den Anblick der 32 Tempel, die für uns Europäer exotisch wirken, in aller Ruhe und Stille genießen, da ich fast alleine in der ganzen Anlage war. Auf den Terrassen einiger Tempel ragten die geladenen Gewehre der Soldaten heraus, welche die Demonstrationen verhindern sollten. Leider starben in diesen Tagen 23 Menschen, bis der König letztendlich die Sieben-Parteien-Koalition mit regieren ließ. Erinnerungen an die Revolution 1989 in Rumänien, die das kommunistische Regime stürzte, kamen in mir auf und das waren keine negativen sondern erfreulichen Gefühle. Damals nahm ich auch aktiv teil, verbrannte Bilder von dem Diktator Ceausescu und entlud den ganzen Hass über die falsche Ideologie die an uns herangetragen wurde.

Ich besuchte weitere wichtige religiöse Bauwerke und Heiligtümer die sich in den äußeren Bezirken der Stadt befinden: Pashupatinath, wo Tote verbrannt werden, buddhistische Stupas und Heiligtümer Bodnath und Swayambhunath.

Die Expeditionsteilnehmer, waren: Brad Corr (55), USA, Mark Merwin (30), USA; Liga Hartemann (29), Litauen; David O´Brain (40) und James Wiles (27) aus England, Carol Wambeke (28), Belgien und Dr. Remco Berendsen (33), Holland sowie meine Wenigkeit (49). Remco, der Arzt, machte in bestimmten Abständen medizinische Messungen um Höhenmedizin weiterhin zu entwickeln. Die Atmosphäre im Team war hervorragend, man tauschte Erfahrungen aus, war Hilfsbereit, es gab keine Intrigen und die Diskussionen gingen oft tief in das private Leben ein. Die bis Dreißigjährigen setzten sich mit der Frage heiraten oder nicht heiraten auseinender, eine Entscheidung die in unserer westlichen entwickelten Welt immer schwerer fällt. Politisch wurde unter anderem die Rolle der USA als Weltpolizei kontrovers diskutiert. Die Amerikaner fühlen sich in diese Rolle bestärkt und sind stolz drauf. Die andern Expeditionsmitglieder waren nicht begeistert von dieser politischen Einstellung. Ich taufte unser Gruppe: „Das 100% Team“, in der Hoffnung das wir alle auf den Gipfel kommen.

Mit dem Bus und mit Geländewagen fuhren wir über Steinstrassen die trotz der steilen Abgründe, keine Leitblanke haben unserm Ziel in Tibet entgegen. Ein Hilfsfahrer streckte den Kopf stets nach draußen und gab dem Fahrer wichtige Tipps, bezüglich des Fahrgeschehens. Am Grenzübergang Zhangmu von Nepal nach Tibet, China war viel los und das kostete uns einige Stunden Wartezeit. Der höchste Punkt unserer Himalaya Überquerung war der 5050m Hohe Lalung Leh Pass, danach ging’s nach Nyalam 3750m und letztendlich in das tibetische Dorf Tingri auf 4340 m. In jedem dieser Ortschaften blieben wir einen Tag um dem Körper die Möglichkeit zur Akklimatisation zu geben. Tingri ist ein typisches tibetisches Dorf mit weißen, viereckigen Häusern mit flachen Dächern, mit Geschäften in denen es alles Lebensnotwendige gibt und mit einem gemütlichen Teehaus und mehreren Gästehäuser. Beeindruckend ist die Landschaft des tibetische Hochplateaus (4000-5000 Hm), welches einer Steinwüste mit rot und braunen abgerundeten Bergen gleicht, mit bis zu 3 km breiten, geschmeidigen Tälern, in denen die Dörfer und die Felder der Einwohner liegen. Am Horizont war die weiße Hauptkette des Himalayas zu sehen. Schotterstrassen durchziehen die scheinbar entlose Landschaft wo kein Gras, Sträucher und Bäume in der Trockenzeit zu sehen sind. Nur in der Regenzeit, die von Juni bis September dauert, färben sich die Felder in der Talsohle grün und auf den Berghängen wächst das Gras, welches Ziegen, Kühe und Pferde ernährt. So mancher beeindruckende Sonnenauf und -untergang ist in Worten kaum zu beschreiben. Nach fünf Tagen erreichten wir unseren Ausgangspunkt, das chinesische Basislager auf 4900 m.

Der Weg zum Gipfel

Aus dem chinesischen Basislager ging es per pedes über riesige Moränenfelder, zuerst in das vorgeschobene Basislager und danach in das Basislager (BL) auf 5600m. Die Anstrengung beim Gehen der insgesamt 22 km war ein erster Vorgeschmack auf das was folgen sollte. Über die gleiche Route erfolgte die Erstbesteigung, die dem Wiener Herbert Tichy mit Sepp Jöchler und dem Sherpa Pasang Dawa Lama im Jahre 1954 gelang. Der Globetrotter Tichy war Forscher, Abenteurer, ein Menschenfreund, Weltbürger und Philosoph. Er schrieb mehrere Bücher in denen er das Erlebte im Himalaya, in Kaschmir und Afghanistan beschreibt. Tichy war der erste Bergsteiger, welcher einen Achttausender im alpinen Stil bestieg, sprich mit wenig Leuten und geringer Ausrüstung (nur 800 kg), in dem Stil in dem Reinhold Messner später alle Achttausender bestieg.

Von dem chinesischen BL bis ins BL (5600 m) wurden unsere 2200 kg Expeditionsausrüstung von 52 Yaks transportiert. Unser Basislager setzte sich aus einem Küchenzelt, einem Esszelt und 15 kleinen Zelten, in denen jeweils ein Teilnehmer übernachtete, zusammen. Die Küchenmannschaft, die meist europäisches Essen kochte, bestand aus vier Tibetern und das Hochträgerteam setzte sich ebenfalls aus vier Kletterer zusammen. Die Tibeter werden in einer speziellen Bergsteigerschule in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, für Expeditionsaktivitäten ausgebildet, die es erst seit 2001 gibt. Die Climbers, die eigentlichen „Helden“ der hohen Berge, bauen die Hochlager auf und setzten die Fixseile an steilen Fels- und Eiswänden. Sie sind sehr, sehr kräftig und verdienen die voller Bewunderung für die Kondition, die sie an den Tag legen. Anwesend im BL waren weitere Teams aus Indien, Korea, Norwegen, Österreich und der Schweiz, die von ihren Ländern gesponsert wurden sowie drei kommerzielle Veranstalter. Im Camp waren auch Tibeter, deren Aufgabe es war das Camp sauber zu halten und das mit Erfolg, da es keine Müllhaufen im BL gab.

Die wichtigsten Augenmerke gelten in dieser Höhe der Gesundheit und der Akklimatisation. Es ist auf eine angemessene Hygiene zu achten, wie z.B. das Reinigen des Bestecks mit einer Papierserviette vor dem Essen sowie das Händewaschen vor jeder Mahlzeit. Da die Mahlzeiten und das Teewasser gekocht wurden, war aus diesem Grund keine Infektion zu befürchten. Ich habe täglich eine Vitamin C Kapsel und eine Tablette mit Vitaminen und Mineralstoffen geschluckt, da das Wasser, welches von dem Gletscher geholt wurde oder aus Schnee geschmolzen wurde, vitaminarm ist.

Die Akklimatisation erfolgt durch auf- und absteigen zu den Lagern durchsetzt mit Ruhetagen, damit sich der Körper von der Anstrengung und dem Aufenthalt in großer Höhe, erholt. Um der Höhenkrankheit vorzubeugen, wurde uns empfohlen jeden Tag eine Diamox Tablette zu nehmen. Diese sind in Deutschland verschreibungspflichtig, können aber in Kathmandu billig eingekauft werden. Ich selbst habe gute Erfahrungen damit gemacht, da ich, bis auf einmal, kein Kopfweh hatte und mich sehr wohl gefühlt habe. Wichtig ist es, die Akklimatisationsregel einzuhalten: nicht höher als 500 Höhenmeter pro Tag zu schlafen. Ist das nicht möglich, müssen auf entsprechender Höhe, Ruhetage eingeplant werden.

Im BL bauten die Tibeter eine Steinpyramide von 1 m Breite und 2 m Höhe, von der aus sie Gebetsfahnen in mehrere Richtungen spannten. An diesem Ort veranstalteten sie das der Verehrung der Götter dient, bei dem sie diese bitten, die Besteigung eine „Puja“ ein religiöses Ritual, des Berges zuzulassen. Des Weitern wurde auch die Kletterausrüstung geweiht. Dabei wurden religiöse Verse verlesen, Süßigkeiten verteilt, Milchtee und Schnaps getrunken.

Der Kegel des Cho Oyu Gipfels, betrachtet aus dem Basislager, überragt mit seiner Größe die vielen schönen Berge ringsum und flößte mir Respekt ein. Je länger ich ihn betrachtete, desto mehr mochte ich diesen Berg, der aus dem Basislager 2600 Hm in den Himmel ragte. Die steilen Grate, die Gletscherhänge sowie das „gelbe Band“ (ein Felssprung von etwa 30 m) auf 7600 m Höhe, empfand ich beim Bergsteigen als aufregend, da technische Können und Kraft, von Nöten war.

Lager 1

Erst sind wir zu Lager1 6300 m auf- und abgestiegen. Die Aufstiegsroute verläuft mit einer geringen Steigung neben dem Gyabrag Gletscher, der mit seinen zerklüfteten Eiswellen (Seracs), welche bis zu 20 m hoch sind, begeistert. Dafür braucht man 2 Stunden. Danach ist es vorbei mit der Herrlichkeit! Es folgt der sogenannte Killerhang mit 40° steilen Flanken der mit Geröll und manchmal mit Schnee bedeckt, weitere 4 Stunden hinauf führt. Hier Begegnete mir ein 60 Jahre alter Österreicher, der letztendlich den Gipfel erreichte und sagte zum mir: „Du wirst diesen Hang 6 Mal hochsteigen und es wird nie leichter“ Guter Trost dachte ich. Die Lager werden von den Hochlagerträger aufgebaut, das heißt sie bringen die Zelte und je einen Kocher hoch. Die persönlich Ausrüstung muss sich jeder selbst hinauf schleppen: Schlafsack, Isomatten, Daunenhose, Daunenjacke, die Hochtourenschuhe, persönlich Apotheke und die Nahrung.

Carlo, der Belgier hatte beim Abstieg von Lager1 einen Kreislaufzusammenbruch, konnte aber mit Hilfe eines Höhenträgers absteigen. War dies schon das Ende seiner Expedition?

Nach zwei Ruhetagen wurde Lager 1 erneut erklommen, wo 5 Zelte aufgebaut waren. Diesmal übernachteten wir hier, um erneut ins BL abzusteigen. Es folgte ein weiterer Ruhetag. An diesen Ruhetagen las ich, schrieb mein Tagebuch, hörte Musik, fotografierte, wusch meine Wäsche, lag in der Sonne und abends diskutierten wir in dem Gemeinschaftszelt bis 22 Uhr über Gott und die Welt. Eine entspannte Zeit, in der ich mich nie gelangweilt habe und oft das Gefühl der Wunschlosigkeit hatte wodurch ich mich sehr wohl fühlte.

Lager 2

In einem nächsten Schritt, stiegen wir wieder zu Lager 1 auf, schliefen dort und setzten unsern Weg zum Lager 2 fort. Da ich eine unebene Stelle im Zelt erwischte, war meine Nacht nicht die Allerbeste und ich war froh als es Licht wurde. Zu Beginn der Route sind drei steile Aufschwünge (ca. 35°-50°) in Eis, die von Fixseilen gesichert sind, zu bewältigen. Man sichert sich mit einer Steigklemme an den Fixseilen und geht mit Steigeisen. Diese erfordert viel Kraft, aber keine besondere Kletterkünste. Es folgte aber ein Eisfall, eine 100 Hm hohe senkrechte Eiswand, für deren Durchstieg ich 45 Minuten brauchte. Hier ist allerdings eine gewisse Routine im Eisklettern und eine gute konditionelle Verfassung vom Vorteil, da es sonst noch viel mehr Kraft kosten würde, diese Eiswand auf 6600m hoch zu steigen. Das war der Aufstiegsteil der mir am besten gefallen hat. An diesem Eisfall scheiterte Edmund Hillary im Jahr 1952 mit einer englischen Expedition. Nur ein Jahr später bestieg Hillary als erster Mensch den höchsten Berg der Welt, den Everest 8848 m, im Jahr 1953. Der zweite Teil des Aufstiegs zu Lagere 2, habe ich als einen der schwersten Besteigungen die ich je gegangen bin in Erinnerung. Die Sonne schien kräftig von dem blauen Himmel auf unsere Köpfe. Nicht die Kälte sondern die Hitze, machte uns diesmal zu schaffen. Nach einem kurzen etwas flachern Stück folgt der nächste Aufschwung, der durch ein weiteres steiles Gletscherlabyrinth führte. Nebel zog auf und es wurde flacher und ich wusste, dass ich nun auf dem Plato war, wo das Lager 2 stand. Ich bemühte mich, den Kontakt zu einem Vordermann nicht zu verlieren, da die Sicht nun begrenzt war und die Spuren in Sekundenschnelle vom Winde verweht wurden. Hier war die Gefahr sich zu verlieren besonders groß und die Folge davon war mir bewusst. Bei diesem Gedanken konnte ich weitere Kräfte mobilisieren um die Gruppe nicht zu verlieren. Nach acht Stunden Tortour erblickter ich die Zelte im Lager 2 auf 6900m. Nach einer kurzen Verschnaufpause, füllte ich den Schneesack mit Schnee und kochte Wasser mit dem Kocher, welcher im Zeltinneren aufgehängt war. Wegen der „dünnen“ Luft kamen die Kopfschmerzen, die sechs Stunden anhielten, in denen ich fast aufrecht im Zelt saß. Auch Dave, mein Zeltkamerad, litt unter Höhenkrankheit, sein Gesicht sah entstellt aus. Die Anstrengung beim Aufstieg war hier schon enorm. Den andern Bergsteigern ging es in nicht besser bezüglich dieser Strapazen. Mein Gehirn reagierte zum ersten mal mit der Frage, ob diese Quälerei sein muss, über den Sinn des Bergsteigens in großer Höhe, wo die Sauerstoffaufnahmefähigkeit und der Gesundheitszustand ausschlaggebend für den Erfolg sind und nicht etwa besondere technische bergsteigerische Fähigkeiten. Es ist meines Empfindens nach nicht ein bergsteigerisches Vergnügen, wie wir es aus den Alpen kennen. Die Begründung des Höhenbergsteigens liegt in erster Reihe in der Tatsache, dass man seinen Willen und die Leidensfähigkeit hier ausleben kann und zweitens, den Ruhm des Erreichten zu genießen. Dieses führt dazu, sich selbst zu mögen – eine Säule des Glücks! Wer das möchte, ist hier richtig. Ich wollte diese Erfahrungen machen und bereue sie nicht. Mit diesen Gedanken und Empfindungen geben dieser Besteigungen einen Sinn.

Beim Abstieg vom Lager 2 nutzt man oft den Abseilachter oder den Sherpagriff, bei dem man das Seil um einen Arm wickelt. Es machte richtig Spaß, da die Anstrengungen beim Abstieg nicht mehr so groß sind und man damit die Umgebung wahr nimmt und sich über die märchenhafte Gebirgslandschaft freut. Die tiefen Täler, weit und breit nichts als Fels, Schnee und Eis, das Wolkenmeer und die scheinbar endlosen Gletscherzungen….

Im Basislager waren nach drei Erholungstagen die Schmerzen und die Qualen schon fast vergessen und der Gipfelaufstieg stand bevor. Dieser war in zwei Gruppen geplant, da sonst die Zeltkapazität nicht ausreichte. Brad Corr verzichtete auf den Aufstieg, da er von Muskelkrämpfen in den Beinen geplagt wurde – also das Ende seiner Bemühungen den Berg zu besteigen. Ich selbst hatte nach dem Abstieg von Lager 2 Rückenschmerzen und konnte nicht mehr aufrecht gehen. Ich war entsetzt! Sollte dieses das Ende meiner Tour sein, für die ich mich so lange vorbereitet hatte. Ein halbes Jahr 2-3 mal die Woche Training, welches aus Fahrradfahren und Joggen bestand sowie „Blitzbesteigungen“ in den Alpen, z.B. die Zugspitze in 3,5 Stunden, anstatt 6 Stunden; dazu unzählige Briefe mit dem Organisator, die Kosten von 10.000 Euro, die Mühe der Akklimatisationstouren. Den Gedanken nicht einmal versuchen zu können, den Gipfel zu besteigen, wollte ich nicht akzeptieren. Dave der Engländer, welcher lange Jahre Rugby spielte und selbst viele Rückenprobleme hatte, kam mir zu Hilfe. Er untersuchte mich und stellte fest, dass ich eine Steißbeinzündung hatte, deren Schmerzen in das ganze Gesäß strahlten. Er brachte mir zwei Feldtennisbälle mit denen ich Pressanwendungen machte. Dazu legte ich die Bälle an die Schmerzregion und lag mehrere male am Tag darauf. Wie durch ein Wunder konnte ich nach drei Tagen wieder aufrecht gehen. Das werde ich Dave nie vergessen!

Dann war es soweit. Über das Satellitentelefon wurde uns stabiles, gutes Wetter vorausgesagt. Im Allgemeinen ist das Wetter annehmbar. Ab 10 Uhr wird es im Basislager warm und zu Mittagszeiten kann man ab und an 20° C messen. Auch auf 7000m reichte manchmal mittags Hemd und Jacke. In der Nacht sinkt die Temperatur im Basislager auf –20° C und in großer Höhe ist es natürlich kälter. Eine Sonnenschutzcreme mit dem Faktor 50+ und eine Sonnenbrille sind Pflicht. Die Lippen muss man wiederholte male am Tag eincremen. Alle drei Tage schneite es am Nachmittag ca. 10-20 cm und der Wind blies. Dadurch war der Aufstieg manchmal erschwert, da man mit den schweren Schneeschuhen, die fast 4 kg wiegen, spuren muss.

Der Gipfelsturm Lager 3- Gipfel

In 5 Stunden erreichte ich das Lager 1, doch eine Magenverstimmung mit Durchfall war die Ursache einer schlaflosen Nacht. Drei mal musste ich das Zelt fluchtartig verlassen. Krämpfe plagten mich und der Wasserverlust war groß. Aufgeben? Jetzt erstrecht nicht! Der Aufstieg am nächsten Tag ins Lager 2 6900m war die Hölle nach dieser „bewegten“ Nacht. Jeder Schritt war schwer, da mich auch noch ein Stich in der rechten Seite über dem Becken plagte, doch nach 8 Stunden war ich im rettenden Zelt. Es folgte eine gute Nacht in der ich schlafen konnte. Der Weg zum Lager 3 auf 7400 m, wo drei Zelte auf einem Felsvorsprung standen, führte über einen steiles Eis- und Schneefeld, wofür ich 4 Stunden benötigte. Ich war mit Ryan unserem Guide im Zelt. Wir schmolzen 3 Stunden Schnee um je zwei Wasserflaschen zu füllen und um ein Nudelgericht vorzubereiten. Ich weckte Ryan wie besprochen um 01:15 Uhr, doch weil er sich nicht besonders gut fühlte, verschoben wir die Gipfelvorbereitungen um eine Stunde. Diese Zeit sollte mir danach fehlen. Ich nahm die Gaskartusche in den Schlafsack, da man sonst Schwierigkeiten hat, den Gaskocher zum brennen zu bringen. Meine Innenschuhe, die Handschuhe, die Wasserflaschen und der Fotoapparat waren auch im Schlafsack. Vier Uhr morgens, in Daunenkleidung angezogen, begann der Gipfelaufstieg. Die Temperatur war bei ca. –25° C und es war fast windstill.

Minus 25 Grad in dieser Höhe ist nicht mit der Kälte in Alpenhöhe zu vergleiche. Durch die Höhe erhöhen sich die roten Blutkörperchen im Blut und in Folge wird das Blut dickflüssig. Es fließt also langsam und somit kommt sehr wenig Wärme in die Extremitäten.

Nach einer Stunde Gehzeit folgte eine senkrechte Felswand (das gelbe Band, 7500m) wo unser Expeditionsleiter noch ein Seil anbrachte und dies dauerte eine Stunde. Ich sah nur die Lichter der Stirnlampen die das Dunkle der Nacht durchdrangen und hörte Laute. Diese Zeit warteten wir am Fuße des Felscouloirs ab und dadurch wurden meine Füße, trotz den dreischichtigen Schuhen, kalt und ich spürte sie nicht mehr. Ich war der letzte in der Gruppe, der in diese Senkrechte einstieg und musste erneut warten bis jeder einzelne meiner Teamkollegen diese Passage durchquerte. Mit den Steigeisen zu klettern muss gekonnt sein. Die Steigeisenspitzen kratzen an dem Fels, es machte Mühe mit den gefrorenen Handschuhen einen guten Griff zu kriegen.. Bedingt durch die steile Wand musste ich zwei hintereinander folgende Schritte machen. Ich dachte jemand drückt mir den Hals zu. Die Luft blieb scheinbar ganz weg. Ich sagte mir nie wieder zwei Schritte in dieser Höhe. Es folgten weiterhin senkrechte Passagen, die sehr anstrengend waren. Jeder Schritt kostete Überwindung, da eine Atempause von 5 bis 20 Atemzügen nach jedem Schritt nötig war. Hier – in der so genannten Todeszone – gibt es nur noch 33% Luftdruck in Bezug auf die Meereshöhe, dementsprechend reduziert sich die Kondition. Meine Hände waren mir zwischendurch gefroren, da ich immer wieder die Steigklemme benutzen musste und diese mit den großen Handschuhen nicht bedienen konnte. Also wechselte ich die Steigklemme von einem Seil zum andern mit bloßen Händen, welches keine gute Lösung war. Ich wärmte sie unter meiner Achsel und konnte so weiter klettern. Es war trotz dem geringen Gewicht auf dem Rücken und trotz des guten Wetters, das sich bei Sonnenaufgang einstellte, ein qualvolles Gehen. Man fühlt sich ständig so, als sei man am Ende seiner Kräfte. Durch das Zählen der Atemzüge, mittlerweile 20 zwischen jedem Schritt, zwang ich mich den nächsten Schritt zu machen. Tichy beschreibt seinen Aufstieg in dieser Höhe treffend: „Wir sind willenlose Maschinen, die nichts anders können als weitergehen oder vielleicht sind wir nur der Wille, der hinauf muss, der den Körper weiterzwingt“. Am 23.05.2006 um 12:30 nach 8,5 Stunden Gehzeit entschied ich mich meinen Gipfelgang bei 7900m zu beenden, da ich erschöpft und die Zeit fortgeschritten war. Ich hatte mir die zeitliche Grenze gegen 13 Uhr gesetzt, da viele Unfälle passierten, wenn diese Aufstiegszeit überschritten wird. Ich wusste nicht was mit meinen Füßen los war, ob mir starke Erfrierungen drohen. Mir war bewusst, dass die meisten Unfälle beim Abstieg passieren und das an diesem Berg jeder 47ste Bergsteiger, in Bezug auf die Gipfelbesteigungen, den Tod findet. Der Tod eines Deutschen Bergsteigers im Alter von 54 Jahren, einige Tage vor unserem Gipfelgang, war mir noch gegenwärtig. Er stolperte beim Abstieg vom Gipfel. Ich benutzte keinen Sauerstoff, was den Aufstieg natürlich sehr erschwerte, weil ich wissen wollte, wie hoch ich ohne kommen kann. Ich hatte meine Grenzen erreicht, Grenzen die ich mir bevor in meinem Kopf festgelegt hatte, Grenzen die nicht bis an den Abgrund gingen, also kein absolutes Risiko. Dieses Handeln habe ich auch meinen Freunden zu verdanken, die mir vor dieser Tour nahe legten, dass es das Allerwichtigste ist, gesund von diesem Berg zurückzukehren. Es lohnt sich nicht für einen Berg zu sterben, da uns das Leben viele andere Aufgaben stellt, die es zu bewältigen gilt und auch viele andere Möglichkeiten bietet unseren Hunger nach Empfindungen und Lust zu stillen. Ich blieb eine halbe Stunde alleine auf 7900 m und fiel immer wieder in einen Sekundenschlaf. Die große Gefahr hier einzuschlafen war mir bewusst und deshalb machte ich mich auf den Weg nach unten. Zum Glück hatte ich diese Variante in meinem Kopf. Mein Freund Erich Bonfert erzählte mir einmal er sei vom Pumori alleine abgestiegen. Daran erinnerte ich mich und tat es somit. Hätte ich diesen Gedanken nicht in meinem Gedächtnis gehabt, glaube ich nicht dass ich mich alleine auf den Weg nach unten gemacht hätte. Mit großer Vorsicht überquerte ich das steile, ungesicherte Schneefeld, wo ein Fehltritt den Absturz bedeutet um danach mehrere Male abzuseilen. Die Stille und die Einsamkeit sind hier vollkommen. An diesem Tag waren auch keine weiteren Expeditionsgruppen unterwegs, somit war ich ganz alleine in dieser Eiswelt unterwegs. Kurz vor dem Lager 3 fingen meine Beine sehr stark zu zittern. Ich setzte mich auf einen Stein und wartete bis dieses aufhörte. Die ganze Emotionen entluden sich an diesem Ort auf 7400m Dann erreichte ich das Lager 3 und nach einer einstündigen Pause stieg ich weiter ins Lager 2 auf 6900 m ab.

Meine Kollegen Carlo und Dave, welche Sauerstoff benutzten, begleitet von dem Bergführer Ryan und zwei Höhenträgern, erreichten um 15 Uhr den Gipfel des Cho Oyu in 8201m Höhe und krönten somit unsere Expedition. Von dem Gipfel aus bewunderten sie die höchste Erhebung der Erde, den Mount Everest (8848 m). Als sie in das Lager reintrudelten, kochte ich Tee für meine Kollegen die total erschöpft von dem Gipfel kamen und sehr dankbar für diesen Service waren. Am nächsten Tag trat die zweite Gruppe den Gipfelgang an. Liga und Mark erreichten das Lager 3 und verzichteten wegen des gesundheitlichen Zustandes auf den Gipfelgang. Remco und James bestiegen in einer Rekordzeit von 8 Stunden den Gipfel des Cho Oyu. Die Freude des Gipfelsieges blieb bei mir diesmal aus, doch ich habe meinen eigenen Höhenrekord aufgestellt, die wunderbare Berglandschaft genossen, Menschen aus aller Welt kennen gelernt und Weltansichten ausgetauscht, Freundschaften erfahren und manche stille Stunde im Herzen des Himalayas erlebt. Für die Zeit und die Mittel die ich in das Bergsteigen investierte und mit meinen Möglichkeiten, ist es ein großer Erfolg. Man kann nicht immer alles haben auf dieser Welt und nicht alles gelingt, doch wichtig ist es die Wege zu gehen, um die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten auszuschöpfen, die eigenen Grenzen zu erfahren.

Ich möchte mich bei allen Freunden und Bekannten bedanken, insbesondere bei der Alpingruppe Adonis und bei Erich Bonfert und bei meiner Tochter Heike, die mich im Vorfeld moralisch und mit gutem Rat unterstützten, die mit mir gefiebert haben und somit meinen Willen, diesen Berg zu besteigen, stärkten!

Auf meinen Abstieg alleine von diesem Berg bin ich stolz. Letztendlich war das meine lebensrettende Idee. Sonst wäre ich höchstwahrscheinlich dort für immer eingeschlafen.

Mir ist es nicht gelungen als erster Siebenbürger einen Achttausender zu besteigen, auch wenn nicht mehr viel dazu gefehlt hat. Ich wünsche mir, dass dieser Artikel vielen Bergsteiger Mut macht ihre Fähigkeiten am Berg auszuleben und dass ein Siebenbürger einen Achttausender besteigt.